Nachtrag zum ersten Mai - ein Kommentar

Letzte Woche war der Tag der Arbeiter*innen. Ein ungewöhnlicher erster Mai. Man sollte meinen, dass gerade in Zeiten von Corona wieder einmal deutlich wird, dass wir nicht am Ende unseres Kampfes sind. Ganze Lebenszusammenhänge leiden unter dem Kurzarbeitergeld. Der 12-Stunden-Tag wurde auf dem Rücken von Arbeiter*innen kurzfristig wieder eingeführt. Die Wirtschaft  erhält unkomplizierte Soforthilfe, während ganze Gruppen von Menschen vergessen werden. Dazu gehören Geflüchtete, die in Lagern eingesperrt sind oder an den europäischen Außengrenzen leiden und ausländische Saisonarbeiter*innen, die teilweise in Containern wohnen müssen, während deutsche Erntehelfer*innen von den Medien als Held*innen gefeiert werden. Aber auch Studierende, die sich jetzt verschulden müssen um ihr Studium weiter zu führen, während der Staat mit ihrer Not Profite macht. Populist*innen organisieren Demonstrationen gegen coronabedingte Einschränkungen und wittern die Weltverschwörung, während der DGB zur eingeschränkten Versammlungsfreiheit schweigt und einen einigermaßen nichtssagenden Livestream schaltet. 

Für mich wirft all das nicht nur die Frage auf „Wer ist systemrelevant?“ sonder vielmehr „Für welches System eigentlich?“. 

In einem System in dem Wenige profitieren und Viele ausgebeutet werden, möchte ich nicht relevant sein. Es ist ein System, dass Krisen am laufenden Band produziert. Die Bildungskrise, die Klimakrise oder die Krise des Gesundheitssystems waren schon vor Corona da und sind systemgemacht. Bald wird Corona vermutlich der Auslöser - aber nicht die Ursache - einer weiteren Finanzkrise sein. 

Ich möchte vielmehr für meine Mitmenschen relevant sein. Ich möchte, dass wir gemeinsam ein System erdenken und erkämpfen in dem das Leben der Einen nicht das Leiden der Anderen bedeutet. Und ich bin überzeugt, dass wir uns dafür in Gewerkschaften organisieren müssen, denn die Grundlage dieses System ist noch immer die kapitalistische Wirtschaftsordnung und in deren Folge die Ökonomisierung anderer Lebensbereiche. Wir haben diese Ordnungsprinzipien so weit internalisiert, dass sie zu einem psychischen Fragment unserer Selbst geworden sind. Gewerkschaften müssten doch Räume schaffen, die sich dieser Logik entziehen und Solidarität erfahrbar machen. Oder? 

Dieser erste Mai war für mich und viele Kolleg*innen erschütternd. Wie konnte es soweit kommen? Und: Wie kommen wir hier wieder raus?

Authorin

Sabrina Arneth
Sprecherin der GEW Studis Brandenburg
Sprecherin der GEW Studis

Foto: privat