Forderungen der GEW Studis Brandenburg zur Corona-Krise
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Die globale Pandemie des Coronavirus macht auch vor den brandenburgischen Hochschulen nicht halt. Mehr als zwei Drittel aller Studierenden deutschlandweit arbeiten neben dem Studium, für die meisten von ihnen ist das eine Notwendigkeit, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Potsdam, Brandenburgs größte Hochschulstadt, gehört mit einer Erwerbsquote von 77% zu den fünf Hochschulstädten mit den meisten arbeitenden Studierenden.[i] Gleichzeitig bleibt die vom BMBF versprochene “Trendwende” im BAföG aus [ii]. Die finanzielle Lage der Studierenden hat sich also zunehmend prekarisiert. So erhielten im Einzugsgebiet des Studentenwerks Potsdam, dazu zählen neben Potsdam auch Wildau und Brandenburg, gerade mal 11,7% der Studierenden im Jahre 2019 überhaupt BAföG. Die aktuelle Krise stürzt also auch Studierende in massive finanzielle Notlagen. Umso mehr gilt es, die Studierendenschaft Brandenburgs finanziell abzusichern.
Darüber hinaus stellen sich Fragen um die Semester- und Studiengestaltung für Beschäftigte und Studierende, die in vielen Bereichen eine Anpassung an die Situation bedürfen, um nicht neue soziale Härten zu produzieren.
Um die Auswirkungen der Krise abzufedern müssen Maßnahmen vom Bund mit Maßnahmen vom Land und in den Hochschulen kombiniert werden. Wir rufen hiermit das Land dazu auf, sich mit dem Bund schnellstmöglich auf koordiniertes Handeln zu verständigen und die Hochschulen anzuhalten ein Vorgehen zu verfolgen, was die Interessen der Studierenden und der Beschäftigten in den Vordergrund stellt. Gleichzeitig gilt: Auch wenn diese Krise ein schnelles Agieren notwendig macht, so darf sie nicht zur kompletten Aushebelung der Mitbestimmungsrechte und dem Ignorieren der Stimmen von Studierenden führen.
Deswegen legen wir im Folgenden unsere Forderungen zum Umgang mit Corona vor:
FINANZIELLE NOTLAGEN ANGEHEN!
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Existenzsicherung für Studierende garantieren
BAföG muss weitergezahlt werden und die Förderhöchstdauer muss im angemessenen Maße (mind. ein Semester) verlängert werden. Diese krisenbedingten Verlängerungszeiten sind als Vollzuschuss zu gewähren. Das BAföG muss sofort entbürokratisiert werden und die Einkommensfreibeiträge müssen sofort mindestens um die vom BMBF für 2021 vorgesehenen 6% erhöht werden.[iii] Stipendien zur Studien- und Promotionsförderung sind analog zum BAföG zu verlängern. Wir fordern die Verlängerung des Kindergeld-Anspruchs sowie der Familienversicherung um die Länge der Krise plus einen Monat.
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Sozialstaat auch für Studierende - Unbürokratisch Verdienstausfall ausgleichen
Den Studierenden, die aufgrund der Corona-Krise ihre finanzielle Lebensgrundlage entzogen wurde, ist ein Anrecht auf die Sozialleistungen des SGB II (ALG II) zu gewähren. Die Ausschlusstatbestände nach §7 sind für die Dauer der Krise aufzuheben. Dabei muss die Sicherstellung des Lebensunterhalts einschließlich der Wohnkosten absoluten Vorrang gegenüber der Vollständigkeit von Nachweisen haben. Diese Regelung ist auch auf zukünftige singuläre Ereignisse wie Naturkatastrophen oder Epidemien, die den Arbeitsmarkt in Härte treffen, anzuwenden.
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Soforthilfe zur Überbrückung - Notfonds bei den StuWes
Da die unter 1. und 2. vorgeschlagenen Maßnahmen zur finanziellen Grundsicherung vermutlich zeitlichen Vorlauf benötigen werden, sind unverzüglich Notfonds bei den brandenburgischen Studentenwerken einzurichten bzw. aufzustocken. Die dort gewährten Einmalzahlungen müssen möglichst unbürokratisch zu beantragen sein. Studierende besitzen oft keine Rücklagen und können nicht länger auf Zahlungen warten. Weiterhin sind Gelder zur Verfügung zu stellen, um finanziell schlechtgestellten Studierenden die Möglichkeit zu geben, nötige Hard- und Software zu erwerben, um an einem Online-Angebot teilnehmen zu können.
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Keine versteckten Studiengebühren
Im Sommersemester dürfen keine Verwaltungsgebühren verlangt werden. Bereits gezahlte Gebühren müssen schnellstmöglich zurückerstattet werden. Nach wie vor gilt: Alle "Studiengebühren sind aus gesellschafts-, sozial- und bildungspolitischen Gründen abzulehnen. Sie lösen kein einziges Problem, sondern verschärfen die Krise des Bildungssystems."[iv]
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Studentische Beschäftigte absichern
Die Hochschulen müssen ihrer sozialen Verantwortung nachkommen und alle Verträge reibungslos und unterbrechungsfrei verlängern. Dabei sind studentische Beschäftigte explizit einzuschließen! Die Zeit des eingeschränkten Hochschulbetrieb darf nicht auf die Befristungsdauer von wissenschaftlichen und studentischen Beschäftigten nach WissZeitVG angerechnet werden. Wir fordern daher eine entsprechende Gesetzesänderung, die dieser Krise angemessen Rechnung trägt. Bund und Länder haben dafür Sorge zu tragen bei ihnen liegende Drittmittelprojekte ausreichend zu verlängern und mit zusätzlichen Geldern zu versehen, um die Finanzierung der Projekte sicherzustellen.
#CORONACAMPUS
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Das Sommer-Nicht-Semester 2020
In Anbetracht der Lage fordern wir für das Sommersemester 2020:
- Der Vorlesungszeitraum muss so verkürzt werden, dass die Lehrenden angemessene Vor- und Nachbereitungszeit haben, um qualitativ hochwertige Online-Studienangebote bereit zu stellen.
- Das Sommersemester sollte - sofern noch Lehre stattfinden kann - aus Online-Angeboten bestehen. Präsenzlehre darf nur im begründeten Ausnahmefall und unter Einhaltung entsprechender Infektionsschutzmaßnahmen stattfinden. Dabei sind die Nachteilsausgleichs- und Härtefallregelungen angemessen zu erweitern, um individuelle krisenbedingte Nachteile, z.B. eingeschränkte Internetzugänge, parallele Sorgeverpflichtungen, etc., auszugleichen.
- Studierende, die aus unterschiedlichen Gründen darauf angewiesen sind, sollten die Möglichkeit haben den Bedingungen und Inhalten angepasste Prüfungs- und Studienleistungen zu erbringen.
- Gleichzeitig darf dies kein Zwang sein und sich nicht negativ auf BAföG- oder Stipendienbezüge auswirken.
- Abgabefristen für Abschlussarbeiten sind zu verlängern.
- Im Sommersemester sollen unbegrenzte Freiversuche angeboten werden. Dies gilt ebenfalls für angemeldete Abschlussarbeiten.
- Auslaufende Studienordnungen und -gänge müssen um ein Semester verlängert werden.
- Zwangs-Exmatrikulationen sollen ausgesetzt und bei den Zwangs-Exmatrikulationen auf Grund der Dauer des Studiums das Sommersemester nicht angerechnet werden.
- Für verpflichtende Praxissemester und -phasen sind flexible Regelungen insbesondere bei dualen Studiengängen, Lehramtsstudiengängen, Studiengängen der Sozialen Arbeit und anderen Studiengängen mit staatlicher Anerkennung zu schaffen, um den frühestmöglichen Berufseinstieg bzw. Beginn des Vorbereitungsdienstes zu ermöglichen. Im Falle von ausfallenden Praxissemestern sollte die Möglichkeit von semesterbegleitende Praxisphasen geprüft werden.
- Bereits jetzt muss im Blickfeld der Akteure sein, dass es bei der zwangsläufigen Verkürzung und den zu erwartenden Ausfällen, aber auch bei der Verschiebung oder sogar des Ausfalls aller Formen von Prüfungen, die zum Hochschulzugang berechtigen, zu Domino-Effekten für die kommenden Semester kommen wird.
Es ist außerdem eingehend zu prüfen, welche der genannten Maßnahmen auch auf folgende Semester anzuwenden sind.
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E-Learning - Wenn schon: Sicher, nachhaltig und kompetent
Die Krise offenbart den schon lange bestehenden Bedarf an Fachwissen und Arbeitskraft.
- Es müssen schnellstmöglich weitere Dauerstellen für Digital-Fachkräfte an den Hochschulen geschaffen werden, die die Lehrenden und die vorhandenen Mitarbeiter*innen in den zentralen Einrichtungen der Hochschulen sowie in Technik und Verwaltung unterstützen.
- Es müssen einheitliche Qualitätsstandards für digitale Lehre geschaffen und eingehalten werden.
- Auch deswegen sollte Geld in die Fachkräfte statt kommerzielle Software investiert werden.
- Open-Source-Werkzeuge sollen der Standard an Hochschulen werden.
- Online-Lehre darf langfristig die Präsenzlehre nicht ablösen. Blended-Learning, d.h. die Integration digitaler Lehre in Präsenzlehrangebote, soll mittel- bis langfristig ausgebaut werden. [v]
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Auszeit vom Leistungsdruck - Solidarisch statt gestresst
Wir rufen zur solidarischen Kulanz zwischen Hochschulbeschäftigten und Studierenden auf. Diese muss mit strukturelle Entlastungen aller Seiten Hand in Hand gehen.
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Ausland kann warten - Gesundheit geht vor
Den Studierenden, die einen internationalen Studienabschnitt ("Auslandssemester") nicht angetreten bzw. abgebrochen haben, sollte ermöglicht werden, dass sie gleichberechtigt Zugang zu den (Online-) Lehrangeboten des Sommer-Nicht-Semesters 2020 haben. Für die verpflichtende Studienabschnitte im Ausland sind Nachholmöglichkeiten oder Ersatzleistungen zu gewährleisten. Die Ansprüche auf bereits bewilligte Fördermittel, z.B. Auslands-BAföG, Erasmus-Gelder, etc., müssen bestehen bleiben. Bereits ausgezahlte Fördermittel dürfen, soweit schon finanzielle Verpflichtungen eingegangen wurden, nicht zurückverlangt werden.
SOLIDARISCH KANN MAN NICHT ALLEINE!
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Sicherheit für Alle - auch für ausländische Studierende und Beschäftigte
- Die soziale Absicherung für ausländische Studierende, deren Finanzierung jetzt wegbricht, muss gewährleistet werden.
- Eine unbürokratische Verlängerung von Aufenthaltstiteln muss ermöglicht werden. Dabei ist besonders wichtig, dass Hochschulen und Ausländerbehörden kooperativ zusammenarbeiten.
- Es müssen unbeschränkte Arbeitserlaubnisse während des Sommer-Nicht-Semesters 2020 und ggf. darüber hinaus ausgestellt werden. Aktuell werden Menschen, die helfen wollen, systematisch davon abgehalten. Das ist nicht tragbar.
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Keine Nachteile für Helfende
Studierende, die ein Urlaubssemester nehmen und/oder in der Versorgungs- und Gesundheitsinfrastruktur arbeiten, dürfen dadurch keine Nachteile jedweder Form bekommen.
DEMOKRATIE IN DER KRISE VERTEIDIGEN
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Demokratie und Mitbestimmung erhalten – Wir haben lange dafür gekämpft!
Auch in einem Notbetrieb der Hochschulen und Forschungsinstitute dürfen die Entscheidungen nicht der Exekutive allein überlassen werden. Die verankerten Beteiligungsrechte der betrieblichen Interessenvertretungen sowie der Betriebs- und Personalräte dürfen nicht übergangen werden. Alle Mitbestimmungsrechte sowie die demokratischen Rechte aller Statusgruppen innerhalb der Akademischen Selbstverwaltung müssen erhalten bleiben.
Schon jetzt ist zu beobachten, dass die “Task-Forces” der Hochschulen ohne die Einbeziehung von Studierenden arbeiten. Dabei ist gerade in dieser Situation die Perspektivenvielfalt wichtig zur angemessenen Einschätzung der Lage und eine Beteiligung auf allen Ebenen der Entscheidungen zwingend notwendig. Die angemessene Beteiligung von Studierenden und die Notwendigkeit schnelle Entscheidungen zu treffen sind kein Widerspruch!
Alle umgesetzten Maßnahmen müssen schnell und zielgruppenspezifisch kommuniziert werden, sodass alle betroffenen Studierenden jederzeit über alle geplanten Schritte und ihre aktuellen Möglichkeiten informiert sind. Wir hoffen, dass so alle sicher und gesund durch die Krise kommen.
[i] Middendorff, E., Apolinarski, B., Becker, K., Bornkessel, P., Brandt, T., Heißenberg, S. & Poskowsky, J. (2017). Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. Zusammenfassung zur 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks – durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
[ii] Pressemitteilung 081/2019 des BMBF vom 31.07.2019:
https://www.bmbf.de/de/karliczek-trendwende-beim-bafoeg-ist-eingeleitet-9281.html
[iii] https://www.bmbf.de/de/bafoeg-reform-welche-aenderungen-sind-geplant-7319.html
[iv] Krefelder Aufruf (1999) des Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS):
https://www.fzs.de/1999/10/10/krefelder-aufruf/
[v] Für weitere Ausführungen zum blended learning siehe:
„Gastbeitrag: Die Hochschulbildung in Zeiten der Corona-Krise – Keine Nachteile für Studierende, weder in der BAföG-Vergabe noch durch mangelhafte Online-Kurse!“ ein Beitrag der GEW Studis unter https://www.fzs.de/2020/03/19/gastbeitrag-die-hochschulbildung-in-zeiten-der-corona-krise-keine-nachteile-fuer-studierende-weder-in-der-bafoeg-vergabe-noch-durch-mangelhafte-online-kurse/