Feministischer Kampftag in Potsdam 2023 

Redebeitrag vom 04.03.23

 

Hi, ich bin S. von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft und spreche für die Gruppe der Studierenden in der GEW Brandenburg.

Seit 113 Jahren wird im März der internationale feministische Kampftag begangen. Linke Sozialdemokrat*innen und Kommunist*innen haben ihn erstritten, um Frauenrechte, Emanzipation und feministischen Arbeitskampf auf die Agenda zu setzen. Erst ab 1921 hat sich der bis heute bekannte 8. März als Datum des feministischen Kampftages durchgesetzt. Deswegen ist es auch nicht schlimm, dass wir hier vier Tage zu früh versammelt sind, denn es gilt: An jedem Tag im Jahr muss die Gleichberechtigung aller Geschlechter erkämpft werden!

Wir wollen uns heute mit allen Streikenden solidarisieren, die aktuell für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und eine ökonomisch-soziale Transformation auf die Straßen gehen. Unsere Herausforderung ist es, eine gemeinsame Analyse von vermeintlich verschiedenen Zuständen schaffen. Die Emanzipation von patriarchaler Unterdrückung und die Überwindung unterdrückender Strukturen    schließen unbedingt ökonomische Bedingungen ein. Wachstum wird global immer noch und zunehmend auf dem Rücken von Frauen und geschlechtlichen Minderheiten erwirtschaftet, die unter prekären Bedingungen arbeiten und im Durchschnitt niedrigere Löhne erhalten – noch dazu halten sie das kapitalistische Wirtschaftssystem mit unbezahlter Care-Arbeit am Laufen. In der Pflege, der Erziehung und Bildung und im Dienstleistungssektor stehen die Beschäftigten vor massiven Missständen und Geringschätzung. FINTAs sind dabei oft überproportional von Prekarität und Überlastung bedroht. Das betrifft vor allem benachteiligte Communities im Globalen Süden und migrierte und rassifizierte Menschen im Globalen Norden. Diese Gruppen sind auch besonders stark von den Folgen der Klimakrise bedroht. Klimagerechtigkeit kann es nur mit sozio-ökonomischer Umverteilung geben.

Was für die Industriegewerkschaften das Organisieren entlang von Lieferketten ist, muss für uns das Organisieren entlang von Sorge- und Bildungsketten sein. Denn anstatt Berufe mit regionalem Fachkräftemangel besonders attraktiv zu machen, ist es die offizielle Politik der Bundesrepublik Fachkräfte aus anderen Regionen anzuwerben. Das funktioniert oft, insbesondere dort, wo die Löhne noch deutlich niedriger und Arbeitsbedingungen schlechter sind. Gleichzeitig wird mit der Abwanderung von Sorge-Arbeiter*innen ein Loch in das soziale Gefüge dieser Region gerissen, was wiederum von anderen aus einem noch schlechter bezahlten Anderswo gestopft werden muss. Meistens ist diese Arbeitsmigration verbunden mit vielen Hoffnungen auf ein besseres Leben, die in der BRD aufgrund ihrer rassistischen und sexistischen Verfasstheit oftmals nicht erfüllt werden können. Es handelt sich um ein oft falsches Versprechen, welches sich entlang der kapitalistischen Logik des Standortwettbewerbs orientiert und nicht entlang von Sorgebeziehungen oder Sorgegemeinschaften.

Wir müssen Feminismus, Antirassismus und Ökologie antikapitalistisch zusammendenken und gemeinsam den Kurs wechseln.

Als Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft organisieren wir alle Bildungsarbeiter*innen. Von der frühkindlichen Bildung, über alle Schulformen, Jugend- und Sozialarbeit, Erwachsenenbildung, Studierende und Wissenschaft. Wir haben einen FINTA-Anteil von mehr als 70% in unserer Mitgliedschaft. Die Sorgearbeit, die am Anfang des Lebens von Kindern und am Ende des Lebens von Erwachsenen steht, war schon immer dem Weiblichen zugeordenet. Der vergeschlechtlichte Beruf des Lehrers wurde im Zuge der Kriege, die von Deutschland im 20. Jahrhundert ausgingen, umgedeutet zu einem eher weiblichen Beruf. Je jünger die Kinder, desto weiblicher das Berufsbild. In der Wissenschaft wird erst jetzt, mit vielen Regulierungen, langsam eine Erhöhung des FINTA-Anteils politisch durchgesetzt.

Kurzer Exkurs: Das Wissenschaftssystem reproduziert an so vielen Stellen Ungleichheitsstrukturen – umso wichtiger ist unser aktueller Kampf für einen TVStud, einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte. Wissenschaft ist ein System, was in der Gesellschaft mit hoher Legitimität ausgestattetes Wissen erzeugt, doch der Zugang zu diesem System ist den meisten verwehrt. Wir brauchen aber ein anderes Wissen, für eine andere Gesellschaft! Deswegen, wenn ihr auch als Studierende an Hochschulen arbeitet: Organisiert euch jetzt für einen TVStud. Meldet euch gerne gleich mir! --- Zurück ---

Je stärker Berufe mit Weiblichkeit assoziiert werden, desto weniger Anerkennung erhalten sie und desto schlechter werden sie bezahlt. Dabei werden die Zustände oft naturalisiert – das heißt, es wird so getan, als läge es in der Natur der Frau bzw. der weiblich gelesenen Person, Fürsorge zu leisten, sich zu kümmern und zu bilden. Ich glaube, das ist auch gar nicht so falsch.

Doch ist es selbstverständlich nicht der Kern des Weiblichen, sondern des Menschlichen überhaupt. Ohne Sorge füreinander, ohne Verbindung zueinander und Beziehungen können wir nicht leben. Es ist das kapitalistische Patriachat, dass uns alle in unserer Freiheit, Beziehungsfähigkeit und Beziehungsqualität einschränkt. Selbstverständlich sind Frauen und insbesondere queere Leute und geschlechtliche Minderheiten, diejenigen, die am meisten darunter leiden.

Als Gewerkschaft können wir an der ökonomischen Dimension ansetzen und im kollektiven Handeln uns gegen die Entwertung unserer Arbeit wehren. Aber da hört es nicht auf. Denn jedes kollektive Handeln ist auch ein Raum, in dem wir uns selbst und unsere Zeit wertschätzen. In der Kollektivität erfahren wir bestenfalls Selbstwirksamkeit, Solidarität und Gemeinschaft, etwas, was leider oft genug in unseren Alltagen fehlt.

Deswegen müssen uns und unsere Kolleg*innen organisieren – und aus Erfahrung weiß ich, dass das a) nicht immer einfach ist und b) seine Zeit braucht, die viele von uns gar nicht haben. Wir müssen deswegen von unseren Gewerkschaften die Unterstützung einfordern, die wir brauchen. Denn ich bin überzeugt: Wir, als Gewerkschaften, werden weiterhin gebraucht. Die Grundlogik der Gewerkschaft steht immer gegen die zunehmende Neoliberalisierung und die anhaltende Ausbeutung im Kapitalismus.

Ich behaupte nicht, dass die Gewerkschaften heutzutage diese von mir beschriebenen Dinge gut umsetzen. Aber: Ich kenne viele junge Gewerkschafter*innen, die mit dem Status Quo der Gewerkschaften nicht einverstanden sind – und sie sind trotzdem da. Sie fordern Veränderungen der Strukturen, Strategien und der Politik, sie fordern konsequenten Schutz, Räume und Wertschätzung von und für Minderheiten, sie fordern eine feministische Politisierung der Tarifverhandlung und den Schulterschluss mit sozialen Bewegungen.

Für uns sind diese Dinge eine Selbstverständlichkeit und wir sind bereit sie immer wieder zu erklären, Kolleg*innen zu überzeugen und sie auch gegenüber anderen durchzusetzen.

Ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, ein Tarifvertrag Gesundheit an Schulen oder ein Tarifvertrag Entlastung an Kliniken und die Erkämpfung einer Arbeitszeitreduzierung bei gleichzeitigem Lohn- und Personalausgleich sind nur der Anfang.

Eine feministische Utopie muss von den Menschen, ihren Bedürfnissen und den Möglichkeiten der ökologischen Reproduktion her gedacht werden. Lasst uns gemeinsam für eine solche Utopie organisieren, streiten und kämpfen.

Danke.